Aus der Zeit der Gründung sind alle Urkunden verloren. Aber 1309 starb der erste Prior, Heinrich von Neuberg, von dem berichtet wird, daß er dreißig Jahre den Konvent geleitet habe. Daher müßte man 1279 als das Gründungsjahr ansetzen.
Warum Graf Berchthold von Rabenswalde (Graf von Hardegg) und seine Frau Wilbirgis, die beiden Stadtgründer, ausgerechnet Dominikaner nach Retz beriefen, um für sich und ihre Familie eine Kirche als Grablege in der neugegründeten Stadt zu haben, ist ungeklärt. Das Gebiet, auf dem gerade die Stadt gebaut wurde, gehörte zur Pfarre Unternalb (2 km südlich von Retz) und die war dem Benediktinerkloster Göttweig inkorporiert. Benediktiner waren stets mit großem Grundbesitz ausgestattet. Aber für Grundbesitz hatte man in der kleinen neuen Stadt keinen Platz. Wohl aber war Platz für Kirche und Kloster eines Bettelordens, eines Predigerordens.
Die Kirche und das Kloster baute man an die Südwestecke der Stadt, und somit war auch an einem stark gefährdeten Punkt (Abhang vom Gollitsch ) mit den dicken Steinmauern Sicherheit gegeben.
Univ.Prof.Dr.Kurt Donin wies nach, daß zunächst die dreischiffige Halle gebaut wurde. (So war es auch in anderen Predigtkirchen üblich). Es fällt auf, daß es lediglich an der Nordostecke der Halle einen Strebepfeiler gibt. (Die schrägen Stützpfeiler sind erst im 20. Jh. an die Halle angebaut worden.)
Allerdings waren im Westen sowohl innere Stadtmauer und Zwingermauer Stützen für den hohen Bau. Gerade hier zeigt sich, daß die Kirche auch der Fortifikationen diente, denn zwischen den beiden Stadtmauern führte der Aufgang aus der Kirche zum westlichen Zwinger (heute angedeutet durch die gotische Nische).
Das nördliche Haupttor der Kirche ist wohl mit dem Bau der Halle entstanden. Die Profilierung der Gewände schließt an eine romanische Tradition an. Das Relief des Bogenfeldes (Tympanon) hat die Weisheit zum Thema. Am Thron Salomons sitzt Maria (aufsteigende Löwen deuten symbolisch den Salomon-Thron an). Er ist nach dem Alten Testament der Sitz der Weisheit, flankiert von je drei personifizierten Tugenden. Am rechten Knie der Muttergottes steht das bekleidete Kind, dessen Gewand mit seiner Faltengebung noch sehr romanisch wirkt. Rechts unten im Bogenfeld knien die beiden Stadtgründer und bieten das Modell der Kirche Maria zum Schutz. Links, am unteren Rand des Bogenfeldes ein Mann. Dominikaner scheint er wohl nicht zu sein, denn er müßte eine Tonsur haben. Er weist mit seiner Linken auf den Thron. Ist es König Salomon, der seinen Thron Maria überläßt? Maria ist ja auch die Inhaberin des Kirchenpatronates. Ungeklärt ist der Löwe, aus dessen Maul eine menschliche Hand ragt.
Die Retzer Dominikanerkirche ist die älteste dreischiffige Hallenkirche von Österreich (alle drei Schiffe etwa gleich hoch). Großartig ist die Innenarchitektur: aus den schrägen Flächen der achteckigen Pfeiler wachsen (ohne Kapitelle) Hohlkehlen in die Arkadenbögen und geben durch den Lichteffekt den Arkaden (Scheidbögen) ein wesentlich zarteres Aussehen als sie durch die Stärke der Pfeiler konstruktiv gegeben sind. Diese Hohlkehlprofile sind in dieser Kirche in Österreich zum ersten Mal gegeben. Auch die achteckigen Pfeiler waren damals in Österreich nur in wenigen gotischen Neubauten als Konstruktionselement verwendet worden.
Die Kreuzrippen und Gurte (Verbindungsbögen quer über den Schiffen) wachsen aus kleinen Konsolen. Die Kreuzrippen wurden erst gesetzt, und dann erst wurde das Joch durch ein Bruchsteingewölbe geschlossen. Der Triumphbogen trennt das Presbyterium betont von der Halle. Über dem Triumphbogen war der ursprüngliche Dachreiter aufgesetzt, in dem eine Glocke zum Gottesdienst rief. In Kirchen der Bettelorden gab es in früheren Zeiten keine Türme. Nach dem Klosterbrand 1790 setzte man einen neuen Dachreiter über dem Altarraum. 1295 muß dann auch der Mönchschor (Presbyterium) fertig gebaut gewesen sein, denn die Äbtissin Euphemia vom Zisterzienserinnenkloster St. Bernhard (westlich von Horn) stiftete damals ein ewiges Licht vor dem Allerheiligsten Sakrament.
Als 1425 die Hussiten die Stadt eroberten, wurden Kirche und Kloster arg in Mitleidenschaft gezogen. In der aus 1513 stammenden Totentafel (Nekrolog) heißt es: "... Priester und Laienbrüder töteten sie und den Senior des Klosters stürzten sie in den Brunnen." Der Dachstuhl der Kirche war abgebrannt, der östliche Kirchenabschluß war zerstört. Nur langsam erholte sich das Kloster von diesen Schäden. Beim Wiederaufbau wurde der polygonale Ostabschluß (Apsis) etwas nach Osten gezogen, so daß die gotische Pforte, die ursprünglich neben der Kirche stand, nunmehr überbaut wurde. So konnten zwei Stützpfeiler dem Ostschluß bessere Stabilität verleihen. In der alten Pforte ist heute noch eine Sitznische aus der Gründungszeit erhalten. Nun mußte im 15. Jhdt. der Chor neu gewölbt werden. Ein Tonnengewölbe wurde errichtet und erst 1480 wurde unter diesem Gewölbe, das damals dem Zeitgeschmack entsprochen hat, ein Sterngewölbe eingezogen. Das Sterngewölbe war nur noch Zierde, und hatte keine tragende Funktion.
Im Westen der Kirche wurde im 15. Jhdt. eine unterwölbte Empore eingebaut. Von den ursprünglich gotischen Fenstern sind im Süden die Maßwerke teilweise erhalten, von der Kirche aus sind sie nicht sichtbar, sie sind durch eine Schar Ziegel verblendet. Die Nordfenster wurden durch barocke ersetzt. Etwa um 1520 hat man an der nördlichen Außenmauer ein Ölbergensemble aus Steinfiguren gesetzt. Auch die Hintergrundmalerei stammt aus dieser Zeit. Im beginnenden 16. Jhdt. konnte man schon Zeichnungen eines Dürers oder Altdorfers drucken. Das machten sich damals Bildhauer zu Nutze und schufen nach diesen Drucken ihre Kunstwerke. So gibt es in Tisnov (ca. 30 km nördlich von Brünn an der Zisterzienserinnenkirche) ein ganz ähnliches Ölbergensemble, nur seitenverkehrt. Im Kloster blieb stets nur ein kleiner Kreis von Mönchen. Dementsprechend waren auch die Klosteranlagen klein geblieben. Durch die Reformationszeit war das Kloster 1541 ausgestorben. Aber schon 4 Jahrzehnte später bemühte sich ein Augsburger Pater, den Klosterbetrieb wieder aufzunehmen. Die Gegenreformation setzte ein, aber der Dreißigjährige Krieg, Schwedenbesatzung, Türkengefahr und Pest hemmten das Aufblühen des Klosters.
Eine Prachtentfaltung, wie sie in anderen Klöstern und Kirchen der Barockzeit zur Geltung kam, konnten sich die Dominikaner in Retz nicht leisten. Lediglich der Chorbogen wurde stukkiert und wie oben schon erwähnt, neue Fenster eingesetzt. Ein neuer Hauptaltar wurde aufgestellt, (der 1910 durch einen neugotischen ersetzt wurde), sowie 7 Seitenaltäre, eine prachtvolle barocke Kanzel und ein eindrucksvoller Orgelprospekt wurden in die Kirche eingebracht. Für den Nepomuk-Altar (linkes Seitenschiff, hinten) wurde von Martin Johann Schmidt (Kremser Schmidt), 1749 ein Bild "Gang des Heiligen Nepomuk zur Richtstätte" gekauft. Diesem Altar gegenüber (rechtes Seitenschiff) steht der Anna-Altar, der mit einer (guten) Kopie des Bildes von Correggio "Hl. Nacht" geschmückt ist. (Das Original ist in Dresden im Zwinger). Am Placidus-Altar (linkes Seitenschiff, am Ostschluß) steht der Sarg mit den Gebeinen des Stadtheiligen Placidus aus den Katakomben in Rom. Pater Raimund Ortz (aus Wien) trat 1650 in das Retzer Kloster ein, erwarb 1671 das theologische Doktorat und war anschließend Prior in Retz. Von 1689 bis 1697 arbeitete er an der Ordenskurie in Rom und stand in den nachfolgenden Jahren der Provinz Teutonia als Provinzial vor. 1701 wurden alle Dominikanerklöster von Österreich aus der Provinz Teutonia herausgelöst und mit den ungarischen Klöstern zu einer eigenen Provinz vereint. Das erste Provinzkapitel tagte in Retz. Pater Raimund Ortz brachte die Gebeine des Heiligen Placidus aus Rom hierher. Er starb 1701 in Retz. Ein Nachfolger des Paters Raimund Ortz war der Sachse Raimund Fizing von Fizingheim. Er trat in das Kloster ein und war 1712/1716 Provinzial der noch jungen österreichisch-ungarischen Dominikanerprovinz. Er dürfte das Bild (Kopie) der "Heiligen Nacht" hierher gebracht haben. Bis 1970 hatte das Kloster einen eigenen Prior. Seither fehlt der Nachwuchs und die Mitglieder des Klosters gehören formell dem Wiener Konvent an.
Der Baukörper des Klosters sollte im 18. Jh. eine Erneuerung erfahren. Der Ostflügel und der Südtrakt über der Stadtmauer, wurden ausgeführt. Zwischen 1712 und 1715 wurde der Bibliothekssaal eingerichtet, für den vermutlich der Retzer Tischler Jakob Barth die Schränke baute. Der Bücherbestand kam vorwiegend von den beiden Prioren Ortz und Fizing.
Literatur: Rudolf Resch: Retzer Heimatbuch I. u. II. Bd., 1936 bzw. 1951
Isnard W. Frank: Festschrift zur 700 Jahrfeier der Stadt Retz, 1979
K. Richard Donin: Bettelordenskirchen in Österreich, 1935